DIE ANFÄNGE DER STÄDTEPARTNERSCHAFT
Mit dem Umzug in Prato fing alles an...
Die Städtefreundschaft zwischen Prato und Wangen hat sich ganz zufällig ergeben. Es begann mit einer Einladung der Stadt Prato an den Wangener Fanfarenzug zur Teilnahme am Corteggio Storico 1980.
Und das kam so: Im Wangener Fanfarenzug spielte ein gewisser Luigi Gorgoglione aus Pietrapaola in Kalabrien mit, der in der Pizzeria „Fuggerstuben (heute „Da Franco“) angestellt war. Er hatte einen Onkel, der in Prato arbeitete und ihn auf die Idee brachte, bei der Stadt Prato anzufragen, ob der Fanfarenzug nicht einmal beim jährlichen Umzug in Prato mitmarschieren dürfe.
Der Briefwechsel zwischen dem Fanfarenzug und Bürgermeister Lohengrin Landini mit der offiziellen Einladung zum Corteggio existiert noch, ebenso der Bericht in der Zeitung „La Nazione“, der die Begeisterung der Bevölkerung beim Durchzug der Wangener Fanfarenmusik in den Straßen von Prato wiedergibt.
Der Leiter des Fanfarenzuges und somit der eigentliche Begründer der späteren Städtepartnerschaft war Rainer Wannagat, zum Vertreter der Stadt Wangen war Jürgen Kaiser von der Narrenzunft, zu der der Fanfarenzug damals gehörte, „ernannt worden“.
Nach dem begeisterten Empfang war klar, dass der Fanfarenzug auch 1981 wieder mitmarschierte, diesmal schon mit offiziellen Vertretern der Stadt Wangen, nämlich Bürgermeister Gerd Locher und Kulturamtsleiter Walter Sterk, die sich in der Folge sehr für die beginnennde Städtefreundschaft einsetzten. Ansgar Friemelt, Italienisch Dozent an der Volkshochschule Wangen, und Alessandro Assirelli, Protokollchef der Stadt Prato, nahmen sich des weiteren Ausbaus an.
Als erste aus Prato erwiderte die historische Stadtwache „Valletti Pratesi“ den Besuch der Fanfaren 1981 in Wangen; mit dabei Bürgermeister Landini. 1983 trat der Chor „Guido Monaco“ in Wangen auf und zwei Jahre später sein Kinderchor Voci Bianche.
Schon 1984 brachte Don Fulvio Silvestrini die erste Schülergruppe nach Wangen. Sie war von der Dagomari-Schule. Es folgte das Copernico-Gymnasium, und seit 1986; heute bestehen regelmäßige und feste Bindungen zwischen der Oberschulen Rupert-Ness-Gymnasium / Liceo Livi, BSW / Dagomari und der Realschule Wangen mit der der Mittelschule Salvimini la Pira in Montemurlo.
Die ersten Wangener Gruppen, die nach Prato fuhren, waren die Stadtkapelle, die Freizeitsportgruppe der MTG, das Jugendblasorchster der JMS, der Jazz-Point, der Oratorienchor, eine Jugendmannchaft des FC Wangen und eine Schülergruppe vom Wirtschaftsgymnasium und Rupert-Ness-Gymnasium.
Schon 1983 war Friemelt mit seinen zwei Italienisch Kursen der Volkshochschule nach Prato gefahren. (In jenen Jahren gab es einen richtigen Ansturm auf die Italienischkurse der VHS, einmal waren es 126 Anmeldungen, die damals ganz allein von Ansgar Friemelt und seiner Ehefrau Jacqueline unterrichtet worden sind.).
Um den Wangenern ihre zukünftige Partnerstadt näherzubringen, drehte Friemelt 1986 zusammen mit Aktiven vom Schmalfilmclub einen Film über Prato und 1987 organisierte er die erste „Bürgerfahrt“, weil bis dahin nur geschlossene Gruppen (Vereine, Schulen) nach Prato gefahren waren.
Auf der Chronik-Seite unserer Homepage sind alle Begegnungen von Anfang an bis heute aufgezählt, ab 2010 mit dazugehörigen Berichten. Weitere Informationen finden Sie hier>>>
1986 war das Jahr, in dem die Idee der Städtepartnerschaft endgültig reifte. Im April wurde ein italienischer Beirat im bereits bestehenden dt.-franz. Partnerschaftsverein angesiedelt mit Ansgar Friemelt als Vorsitzendem.
Zu den Wangener Heimattagen kam Bürgermeister Alessandro Lucarini mit der Botschaft, dass Prato zu einer Städtepartnerschaft mit Wangen bereit sei, und Anfang Dezember stimmte der Wangener Stadtrat einer Städtepartnerschaft mit Prato zu.Der offizielle Partnerschaftsabschluss war für 1987 vorgesehen, wurde dann aber um ein Jahr verschoben, weil Prato 1987 zunächst die Städtepartnerschaft mit dem österreichischen Ebensee besiegeln wollte.
1988 konnten dann OB Dr. Jörg Leist und Pratos Bürgermeister Claudio Martini die Urkunden in Prato unterschreiben und desgleichen 1989 in Wangen.
Ganz zu Anfang bestanden durchaus Bedenken, ob Prato und Wangen zueinander passen würden. Prato hatte 165.000 Einwohner, war eine ausgesprochene Industrie- und Arbeiterstadt mit einer kommunistischen Regierung. Wangen mit seinen damals 24.000 Einwohnern war bürgerlich-ländlich geprägt und von den Christdemokraten regiert. Ein unpassenderes Paar war kaum vorstellbar.
In den Begegnungen der ersten Jahre des Kennenlernens war aber eine solche Faszination und Sympathie auf beiden Seiten entstanden, dass der Wunsch, die Kontakte aufrechtzuerhalten und auszubauen, nach einer dauerhaften Verbrüderung verlangte. Die Prateser haben es mit ihrer Herzlichkeit geschafft, den Wangenern auch über die anfängliche Scheu wegen der von Deutschen begangenen Kriegsverbrechen, speziell auch in Prato, hinwegzuhelfen. Der Wunsch nach Verständigung und Zusammensein war beherrschend und wurde bei unzähligen gemeinsamen Festen und Feiern belohnt.
Später hat man ein paar geschichtliche Gemeinsamkeiten entdeckt!
Das italienische Wort „prato“ bedeutet auf Deutsch „Wiese“ ebenso wie das althochdeutsche „wangun“ eine Wiese bezeichnet, das Castello dell’Imperatore in Prato stammt vom Stauferkaiser Friedrich II, welcher Wangen das Stadtrecht verliehen hat, und als drittes könnte man die Textilindustrie anführen, die auch in Wangen in der Vergangenheit von Bedeutung war.
Mit Blick auf den von Zufällen und Ungleichheiten geprägten Anfang fällt einem der Spruch ein: „Wo die Liebe hinfällt…“, und mit Blick auf die über vierzigjährige, lebendige Freundschaft hat sich auch der zweite Teil des Spruchs bewahrheitet: „...da bleibt sie liegen.“
Ansgar Friemelt, 26.5.2022